Dresdner Justiz I – der Ermittlungsrichter
Für den heutigen 9. Hauptverhandlungstag war ausschließlich der Dresdner Ermittlungsrichter Frank Ponsold als Zeuge geladen. Ponsold zeigte sich als Prototyp eines Ermittlungsrichters: Er habe an dem Tag der Haftbefehls-verkündung keine Zeit gehabt, sich vorher die polizeilichen Vernehmungen anzugucken. Er sei also ohne Vorerkenntnisse in die Haft-befehlseröffnung gegangen. StrafverteidigerInnen kennen ein solches Verhalten von Er-mittlungsrichtern, die die Ermittlungsakten ignorieren und mehr oder weniger ungeprüft die von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Haftbefehle unterschreiben – gleichwohl muss diese Behauptung des Zeugen ange-zweifelt werden. Ponsold hatte in der Zeit vor dem Erlass der Haftbefehle zahlreiche Beschlüsse im Zusammenhang mit den nun Angeklagten unterschrieben darunter die Anordnung von Telekommunikationsüber-wachungen und Observationen. Er musste ziemlich genau gewusst haben, mit wem und mit welchen Vorwürfen er damals zu tun hatte.
Die Befragung des Zeugen war zunächst davon geprägt, dass dieser Verständnis dafür zu schaffen versuchte, dass er die nunmehr angeklagte Kleinert vom Vollzug der Untersuchungshaft verschonte. Dazu erklärte er zunächst, dass der Verteidiger der Angeklagten, RA Prof. Wilhelm etwas getan habe, was er als Richter von diesem noch nie erlebt habe: dieser habe seine Mandantin erzählen lassen, obwohl er selbst noch keine Akteneinsicht erhalten hatte.
Diese geschickte Verteidigungsstrategie beeindruckte den Ermittlungsrichter offensichtlich so sehr, dass er nach der ca. 40-minütigen Vernehmung die Beschuldigte auf freien Fuss setzte. Kleinert wurde erst später, mit Haftbefehl der Bundesgerichtshof, erneut in Untersuchungshaft genommen. Ponsold habe für sich den Eindruck gewonnen, bei der Beschuldigten habe während des Termins ein Prozess der selbstkritischen Reflexion eingesetzt. Eine krasse Fehleinschätzung, wenn man die Aussage näher betrachtet: Kleinert belastet die anderen und räumt keine einzige eigene Straftat ein. Auf die Frage was wäre denn gewesen, wenn da Leute zu Tode gekommen wären, konnte sie keine plausible Antwort geben. Sie habe dann erzählt, es sei einmal besprochen worden, eine „linke Veranstaltung“ anzugreifen. „Die Frauen“ der Gruppe hätten in dieser Situation interveniert, weil da ja Frauen und Kinder dabei seien – Mitleid mit Männern scheint sie jedenfalls nicht gezeigt zu haben.
Der heute angeklagte Philipp Wendlin hatte bei Richter Ponsold nicht so viel Glück. Er machte zwar auch umfassende Angaben und räumte auch selbst seine eigene Beteiligung an nun angeklagten Taten ein, der Haftbefehl wurde allerdings nach Erlass auch vollzogen, Wendlin ging in Untersuchungshaft. Vorher habe Wendlin ihm aber noch einen „Schreck“ versetzt, als er nach einem Dresdner Rechtsanwalt verlangte, der durch seine Aktivitäten im Umfeld von Pegida bekannt ist. Diesen habe er nicht in einer solchen Hauptverhandlung sehen wollen und daher erst einmal in den Raum gestellt, dass dieser ja vielleicht schon einen anderen Beschuldigten vertrete. Man habe sich dann geeinigt, dass Wendlin ein anderer Dresdner Strafverteidiger beigeordnet wurde. Die Verteidigung Wendlin beanstandete dieses richterliche Verhalten in der Hauptverhandlung ausdrücklich nicht.
Der Angeklagte Festing habe als einziger der von dem Zeugen vernommenen Beschuldigten geschwiegen.
Die Befragung des Ermittlungsrichters hat zwar die Angaben der in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten in den Prozess eingeführt und damit die Anklage in weiten Teilen bestätigt. Obwohl damit eine Verurteilung wahrscheinlicher wird, hinterlässt es aber einen schalen Beigeschmack. Auf der einen Seite der Alltag eines Ermittlungsrichters der eine wirkliche Überprüfung der Vorwürfe und Angaben aus Zeitmangel nicht durchführt und trotzdem den Wünschen der Staatsanwaltschaft nach Beschlüssen und Haftbefehlen nachkommt, auf der anderen Seite eine strikte Weigerung, rassistische und neonazistische Ideologie und Tatmotivation konkret zu benennen und aufzudecken.
Am Nachmittag wurden zahlreiche Dokumente verlesen. Insbesondere einige Briefe der Angeklagten Wendlin und Schulz, die unter Umgehung der Briefkontrolle ihren Weg gefunden hatten, aber sichergestellt bzw., in einem Fall der Polizei zugespielt wurden. Diese waren mehr als aufschlussreich: weitgehende Absprachen bezüglich ihrer Aussagen wurden in den Briefen an Mitangeklagte und Freundinnen lanciert. Ausserdem wurde deutlich, dass die Angeklagten keinerlei Reue verspüren, sondern nur Selbstmitleid, weil sie erwischt wurden. Aber auch pathologisch anmutende Selbstbilder, wie in einem Brief des Angeklagten Schulz, der postuliert, halb Sachsen, einschließlich der ermittlungsleitenden Staatsanwältin würde hinter ihnen stehen.
Die tief verwurzelte faschistische Ideologie der Angeklagten wurde in weiteren Fotos deutlich, auf denen verschiedene Personen mit Hitlergrüßen posierten. In der Haftzelle des Angeklagten Wendlin wurde eine Zeichnung gefunden, auf dem das Lagertor von Auschwitz mit der Inschrift des Tors des KZ Buchenwald „Jedem das Seine“ und einem Hakenkreuz dargestellt wird.
Die Hauptverhandlung wird am Freitag den 07.04.2017 fortgesetzt.