Ein Sachverständiger unter Beschuss und: Verteidigung Seidel: Anschläge der Gruppe Freital haben das Sicherheitsgefühl von Ausländern in Deutschland nicht beeinträchtigt.
Der gesamte Verhandlungstag war für die Vernehmung eines Sachverständigen freigehalten. Dieser sollte Auskunft geben über die Frage, ob das zerstörte Fenster der Geflüchtetenunterkunft in der Bahnhofstraße bei der Explosion geöffnet/gekippt oder geschlossen war. Diese Frage ist vor allem für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten Festing wichtig, der behauptet hat, er habe diesen Anschlag alleine geführt, einfach einen Cobra-Sprengsatz in den Spalt des angekippten Fensters gesteckt und zur Explosion gebracht. Das Fenster war nach der Explosion auf den ersten Blick normal, in den Seitenscharnieren hängend, offen gestanden, der gesamte Schließmechanismus am Griff war zerstört. In einem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige angegeben, es sei einerseits auszuschließen, dass das Fenster zuvor gekippt gewesen wäre, der hier verwandte Sprengsatz hätte aber auch gar nicht an der entsprechenden Stelle in das gekippte Fenster gesteckt werden können, da er zu dick gewesen sei. Seine ersteFeststellung musste der Sachverständige in der Hauptverhandlung relativieren, da er die Stellung eines Metallteiles, das je nach Position ein Kippen, Öffnen oder Schließen des Fensters signalisiert, falsch eingeordnet hatte. Er blieb allerdings dennoch bei dem Ergebnis seiner Begutachtung, insbesondere weil bei einer Explosion in gekipptem Zustand zu erwarten wäre, dass die am oberen Abschluss des Fensters angebrachte Kippschere, die das gekippte Fenster alleine hält, stärker beschädigt gewesen wäre als dies die von der Polizei vorgelegten Bilder zeigen. Das zerstörte Fenster ist leider nicht mehr vorhanden. Eine gewissenhafte Asservierung der Fenster lag weder der Staatsanwaltschaft Dresden noch den zuständigen Polizeibehörden besonders am Herzen, gingen diese doch von einer einfachen Sachbeschädigung aus.
Die Verteidigung reagierte auf diese Aussage mit einem Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen, dem sie vorwarf, er klammere sich ohne nachvollziehbaren Grund an seine einmal gefasste Bewertung. Die Vernehmung wurde daher unterbrochen, sie wird irgendwann fortgesetzt.
Im Anschluss stellt die Verteidigung des Angeklagten Mike Seidel, Rechtsanwalt Rolf Franek einen Antrag auf Einholung verschiedener volkswirtschaftlicher und soziologischer Gutachten und die Vernehmung der Beauftragten für Migration und Flüchtlinge, Frau Aydan Özoguz. Ziel soll es sein unter anderem zu beweisen, dass die Anschläge der Angeklagten weder geeignet gewesen seien, die Bundesregierung zu einer Änderung ihrer Flüchtlingspolitik zu zwingen, noch das Sicherheitsgefühl der Bundesbevölkerung noch der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer zu beeinträchtigen.
Der Beweisantrag zielt darauf, die Anwendung des § 129a StGB anzugreifen. Der Paragraf ist unproblematisch immer dann anzuwenden, wenn eine entsprechende Vereinigung darauf gerichtet ist, Menschen zu töten. Dies hat die Bundesanwaltschaft hier angenommen. Das Oberlandesgericht hat diese Anklage auch in Verbindung mit dem Vorwurf des versuchten Mordes an den Geflüchteten in der Wilsdruffer Straße zugelassen. In den letzten Wochen hat der Senat die Beweisaufnahme darauf konzentriert, die dynamische Entwicklung der Gruppenmitglieder darzustellen, die immer lebensgefährlichere Anschläge planten, immer hemmungsloser auch die Tötung missliebiger Menschen thematisierten und in ihre Pläne aufnahmen. Insofern dürfte diesem Antrag von vornherein keinerlei Erfolgsaussichten beschieden sein. Denn nur wenn der Senat zum Schluss käme, dass die Vereinigung nicht darauf gerichtet war, Menschen zu töten und ähnlich gravierende Straftaten zu begehen, können die mit dem Antrag gestellten Fragen überhaupt eine Rolle spielen.
In diesem Falle wäre eine Verurteilung der Gruppenmitglieder als terroristische Vereinigung nur möglich, wenn die hier angeklagten Straftaten bestimmt waren, „die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.“
Der Antrag zeigt also, dass die Verteidigung Seidel, RA Franek, tatsächlich die These aufstellen, die Anzahl der Flüchtlinge, die durch Anschläge betroffen und damit eingeschüchtert werden, sei so gering, dass sie nicht als Teil der Bevölkerung im Sinne der Norm zu gelten haben. Nach dieser Logik wären Minderheiten nicht mehr geschützt, wenn nur die Bevölkerungsmehrheit stark und rassistisch genug wäre, Gewaltaktionen gegen diese Minderheit zu begrüßen oder jedenfalls diesen gleichgültig gegenüber zu stehen. Damit ist die Verteidigungslinie da angekommen, wo wir sie von Anfang verortet haben, bei der Forderung, dass ausschlaggebend für die Strafbarkeit sein solle, was die Mehrheitsgesellschaft als verwerflich einstuft und nicht das Gesetz. Dazu passen auch die am Anfang des Verfahrens durch die Verteidigung Kleinert getätigten verharmlosenden Äußerung, die versuchten, die angeklagten Taten als „Dumme Jungen-Streiche“ herunterzuspielen. Nun mag man der Verteidigung Seidel zugeben, dass angesichts der Wahlergebnisse der AfD zur Bundestagswahl in Sachsen, insbesondere in Freital, und der Zahlen des sog. Sachsen-Monitors (58% der Befragten sind der Meinung, Sachsen sei in gefährlichem Maße überfremdet)die deutsche Bevölkerung keinerlei Einschüchterung durch die Taten erfahren hat. Hierzu brauch man keine Gutachten, sondern lediglich ein paar Zeitungen und Reportagen aus dem Jahr 2015. Es darf aber daran erinnert werden, dass Minderheitenschutz die Säule einer demokratischen Gesellschaft ist. Die Anerkennung, dass das Strafrecht auch darauf abzielt Minderheiten zu schützen, negiert dieser Antrag. Dies sagt mehr über die Angeklagten und ihre Verteidiger, als über die prozessualen Chancen des Antrages.
Tatsächlich wird die Norm nämlich objektiv ausgelegt. Entscheidend ist also, ob die Anschläge objektiv, aus Sicht eines unbefangenen Beobachters geeignet sind, eine solche Einschüchterung zu bewirken. Mit der Pressemeldung der letzten Woche, dass der Linken-Politiker Richter nunmehr in ein anderes Bundesland zieht, weil er nicht in Freital bleiben will, ist diese Frage allemal beantwortet.
Allerdings bietet dieser Antrag einige Chancen für die Nebenklage. Wenn die Verteidigung nun argumentiert, die Anschläge und Aktivitäten der Gruppe Freital hätten keine ernstzunehmenden gesellschaftliche und politische Auswirkungen gehabt, muss die Beweisaufnahme genau auf diese Frage ausgeweitet werden: wie bedeutend und stark waren die organisatorischen und politischen Kontakte und Netzwerke, in denen sich die Gruppe bewegt hat, wie stark war sie eingebunden, an welchen Ausschreitungen insbesondere in Heidenau, der Podemusstraße Dresden, dem Angriff auf den Stadtteil Connewitz in Leipzig waren die Angeklagten noch beteiligt, welche gesellschaftliche Bedeutung hatten diese Angriffe. Es könnte sein, dass dieser Antrag sich auf lange Sicht gegen die Angeklagten wendet.