Aussagen aus einem „ausgedealten“ Strafverfahren – Aufklärung unmöglich
Am Dienstag wurde der Dresdner Staatsanwalt Dr. Richter vernommen. Richter führt zu Zeit die Anklage in den verschiedenen Strafverfahren gegen Mitglieder der Freien Kameradschaft Dresden, die mehrfach mit der Gruppe Freital bei Aktionen kooperiert hatte, so bei den Ausschreitungen in Heidenau und bei dem Angriff auf das Hausprojekt Overbeckstraße. Richter sollte zu den Aussagen der vor wenigen Wochen Verurteilten FKD-Mitglieder St. und Neumann in dem gegen sie beim Landgericht Dresden geführten Strafverfahren vernommen werden. Die beiden wurden zu Freiheitsstrafen in Höhe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig und beide haben gegenüber dem OLG Dresden mitgeteilt, dass sie keine Angaben machen werden.
Der Staatsanwalt berichtete, es habe bereits deutlich vor der Hauptverhandlung gegen die beiden eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und den Angeklagten gegeben, die vorsah, bei einem anklagegemäßen Geständnis eine Strafe zwischen 3 Jahren 6 Monaten und 4 Jahren zu verhängen. Dabei hätten Gericht und Staatsanwaltschaft akzeptiert, dass die beiden Angeklagten keine Angaben zu bislang unbekannten Straftaten ihrer „Kameraden“ bzw. Mittäter machen, sondern nur eigenes Verhalten darstellen würden. Es ist davon auszugehen, dass dies auch der Grund ist, warum gegen das Urteil des Landgerichts Revision durch die Verteidigung eingelegt wurde: solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, können die beiden die Auskunft vor dem Oberlandesgericht und weiteren Verfahren gegen ihre „Kameraden“ verweigern. Nach Rechtskraft müssten sie vor dem Oberlandesgericht die Wahrheit sagen, als Angeklagte durften sie straffrei lügen.
Staatsanwalt Dr. Richter beschrieb weiter, dass das Gericht die Angeklagten während der Hauptverhandlung mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass ihre Angaben noch kein ausreichendes Geständnis im Sinne der getroffenen Absprache darstellen würde, woraufhin jeweils etwas „nachgebessert“ wurde. Die Aussagen dürften also insgesamt von einer sehr starken Entlastungstendenz gegenüber den FKD-Mitgliedern geprägt sein und keineswegs von Reue oder Einsicht.
Der Sinn von solchen Absprachen unter den Verfahrensbeteiligten einer strafrechtlichen Hauptverhandlung, bei der zwar eine relativ hohe Freiheitsstrafe vereinbart wird, dafür aber fast vollständig auf die Aufklärung des tatsächlichen Geschehens, weiterer Mittäter und der Struktur der Angreifer verzichtet wird – immerhin lautete die Anklage auch auf Bildung einer kriminellen Vereinigung – ist kaum erkennbar. Der ehemalige Bundesrichter Fischer beschrieb diese Art von Deals folgendermaßen: „Die Geschichte der Absprache ist, vor allen Dingen, eine Schande der Justiz. Sie ging, wie alle Bürokratien, lange den Weg des geringsten Widerstands. Die Absprache »handelt« aus, was nicht ausgehandelt werden darf: Wahrheit, Schuld, Verantwortung.“ Mit der Gruppe Freital und der Freien Kameradschaft Dresden bestanden in Dresden und Umgebung allein zwei Organisationen, die im Jahr 2015 ganz massiv gewalttätig gegen Geflüchtete und deren Unterstützer vorgingen. Diese Form der Aktivitäten militanter Nazis, die darauf gerichtet waren Geflüchtete tatsächlich zu vertreiben und es der Landesregierung unmöglich zu machen, die Unterbringung nach den vorgeschriebenen Schlüsseln umzusetzen, war eine neue Qualität. Beide Gruppen waren auch an überregionalen Tätigkeiten, beispielsweise an den Ausschreitungen in Heidenau und dem Überfall auf den Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt. Es besteht also ein Netzwerk von militanten Nazigruppen, die überregional aktionsfähig sind und ihre Straßenmilitanz bruchlos mit Anschlägen und direkten Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte verknüpften. Es kann daher nicht ausreichen, die einzelnen Mitglieder, soweit sie zu ermitteln waren, zu bestrafen,. Ziel dieser Strafverfahren muss es sein, aufzuklären, wie die genauen Strukturen dieser Gruppen sind, wie ihre überregionalen Netzwerke funktionieren, wie die Verknüpfung beispielsweise mit Stadträten der NPD oder anderer Parteien funktioniert, wenn man solche Aktivitäten zukünftig besser bekämpfen will.
Trotzdem gab es zumindest die ziemlich erhellende Aussage des Angeklagten Neumann zu berichten, beim Angriff auf das Hausprojekt Overbeckstraße habe er sich sehr über die Größe der für den Einsatz bestimmten Sprengsätze erschrocken. Diese seien so groß gewesen, wie „eine 0,25 l Coladose“. Er habe seinen Kameraden gesagt, dass er bei einer solchen Aktion nicht mitmachen werde, weil er erheblichen Schaden für die Hausbewohner befürchte. Zudem hätten die Angreifer gewusst, dass mehr Personen als üblich in dem Wohnprojekt anwesend waren. Dies beweist ein Mal mehr, dass den Beteiligten an dem Angriff völlig klar war, dass durch den Einsatz der Cobra-Sprengsätze schwerste Verletzungen zum Nachteil der Hausbewohner bewirkt werden könnten.
Dr. Richter berichtete aber auch, dass der Angeklagte Neumann seine „menschenfreundliche“ Haltung offensichtlich nicht besonders ernst nahm. Er lehnte es zwar ab, sich direkt an dem Angriff zu beteiligen, erklärte sich aber bereit, ein Fluchtfahrzeug zu fahren und wurde aus diesem Grunde auch wegen Beihilfe verurteilt.
Über weitere Aussagen in dem Strafverfahren beim Landgericht Dresden von potentiellen Zeugen für das Verfahren gegen die Gruppe Freital beim OLG konnte der Zeuge leider nichts berichten, weil ihm insofern keine Aussagegenehmigung seines Dienstherren vorlag. Beim Landgericht haben nämlich inzwischen die Angeklagte Polley und der Angeklagte Richter ausgesagt, die beide ebenfalls vermutlich an dem Angriff auf das Hausprojekt Overbeckstraße beteiligt waren und auch ansonsten regelmäßig mit „den Freitalern“ zusammenarbeiteten. Warum die Dresdner Staatsanwaltschaft dem Zeugen keine Aussage zu diesen Zeugenaussagen geben wollte ist unklar. Dr. Richter wird also nochmals zum OLG anreisen müssen.