Ein Zeuge mit – widerrufener – Vertraulichkeitszusage und: Staatsanwaltschaft Dresden wollte keine Haftbefehle beantragen
Am heutigen, immerhin inzwischen 37. Hauptverhandlungstag, teilte der Vorsitzende zunächst mit, dass zum Anschlag Bahnhofstraße ein Sachverständiger geladen werden soll, der anhand der Schäden an dem durch die Explosion gesprengten Fenster, überprüfen soll, ob die Angaben, des Beschuldigten Festing, er habe – alleine handelnd – den Sprengsatz in den Spalt des gekippten Fensters gesteckt und angezündet, zutreffen können. Sollte der Sachverständige die Einschätzung – die die in Augenschein genommenen Bilder nahelegen – teilen, dass es nicht gekippt gewesen sein kann, wäre die Aussage Festings auch and dieser Stelle widerlegt und seine erhoffte Strafmilderung als Kronzeuge wohl endgültig gescheitert. Entsprechend gereizt reagierte die Verteidigung.
Anschließend weigerte sich der Zeuge L., der wegen einem, gemeinsam mit dem Angeklagten Schulz durchgeführten massiven Angriff auf Flüchtlingsunterstützer bereits verurteilt wurde, Angaben zu machen, weil gegen ihn nun auch als Unterstützer der Gruppe Freital ermittelt wird. Die Besonderheit bei L.: er hatte sich zunächst an die Polizei gewandt und angeboten, Angaben zur Gruppe Freital zu machen, soweit ihm Anonymität zugesichert würde. Die Staatsanwaltschaft Dresden sicherte ihm diese zu, machte die Zusicherung aber wieder rückgängig, nachdem sich der eigentlich bereits frühzeitig erkennbare Verdacht der Mittäterschaft bzw. Unterstützung konkretisiert hatte. Mit den weiteren Ermittlungen gegen L. versiegte auch dessen Bereitschaft, den zwischenzeitlich aufgenommenen Kontakt zum Landesamt für Verfassungsschutz fortzusetzen.
Die durch das Schweigen des Zeugen gewonnene Zeit wurde durch Verlesung von schriftlichen Erklärungen des Angeklagten Justin S. genutzt, der in Briefen an das Gericht die zum Teil kryptischen Chatmeldungen im verschlüsselten „schwarzen Chat“ der Gruppe erläutert hat.
Im Anschluss wurde ein Polizeibeamter gehört, der den damals noch als Zeugen eingestuften L. am 27.10.2015 vernommen hatte. Diese Vernehmung förderte allerdings Überraschendes zu Tage: L. hätte für ihn überraschend mitgeteilt, dass er an dem Angriff auf das Wohnprojekt Overbeckstraße beteiligt gewesen sei.
Im Laufe der Vernehmung stellte sich dann heraus, dass der Zeuge zum damaligen Zeitpunkt Leiter der Ermittlungsgruppe Deuben war, die die gesamten Ermittlungen wegen der Anschläge der Gruppe Freital zum damaligen Zeitpunkt führte. Dies war aus den Ermittlungsakten bislang nicht zu erkennen. Der Zeuge hatte polizeilicherseits auch die Vertraulichkeitszusage gegenüber dem Zeugen L. bei der Staatsanwaltschaft organisiert. Die Unterlagen zur Vertraulichkeitszusage gegenüber L. seien absichtlich nicht in die Ermittlungsakte gelangt, entsprechender Mailverkehr mit der Staatsanwaltschaft teilweise gelöscht worden, um die Anonymität zu sichern. Ein „Vorgespräch“ zu der Zeugenvernehmung vom 27.10.2015 sei zunächst nicht in die Akte gelangt. Im Laufe der Vernehmung stellte die Generalbundesanwaltschaft allerdings klar, dass sich ein Protokoll dieses Vorgespräches in zwei Akten befindet, die allerdings nicht allen Verfahrensbeteiligten automatisch zur Einsicht gegeben wurden. Das Fehlen von wesentlichen Aktenbestandteilen in allen Verfahrensbeteiligten zugänglichen Akten ist allerdings meist ein Zeichen dafür, dass irgendetwas nicht ganz korrekt gelaufen ist. Das Protokoll wird bis nächste Woche an alle Beteiligte ausgehändigt.
Der Zeuge gab an, er habe frühzeitig versucht, Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse gegen die damals Verdächtigen Täter zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft Dresden habe diese aber nicht beantragt. Daraufhin hätte seine Abteilung im Wege der polizeilichen Gefahrenabwehr Telefonabhörmaßnahmen und Observationen organisiert, in der Hoffnung, die Täter auf frischer Tat festnehmen zu können.
Kurz darauf sei er von seiner Dienstvorgesetztenstellung abgezogen und in einen anderen Bereich versetzt worden.
Der Eindruck, die Staatsanwaltschaft Dresden wollte um jeden Preis verhindern, dass eine Strafverfolgung gegen militante Nazis stattfindet oder gar wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird, obwohl die zuständigen polizeilichen Ermittler dies massiv einforderten, verfestigt sich. Allerdings wirkt es sonderbar, dass plötzlich alle Mitarbeiter des zuständige Operativen Abwehrzentrums so tun, als hätten sie von Anfang an wegen §129a StGB ermitteln wollen, während die in den Akten dokumentierte Ermittlungsarbeit, insbesondere die politische Motivation der Täter, beinahe vollständig ignoriert. Die Hauptverhandlung am Oberlandesgericht Dresden bleibt jeden Verhandlungstag für Überraschungen gut.