14.06.2017

Zur Lebensgefährlichkeit der illegalen Sprengsätzen und: ein Sprenggutachten mit erkennbaren Mängeln zu Gunsten der Angeklagten

Der heutige Verhandlungstag war der Auftakt der bis zur Sommerpause terminierten Beweisaufnahme zur Gefährlichkeit der von der Gruppe Freital verwandten Cobra-Pyrotechnik. Während die sächsische Polizei, die Staatsanwaltschaft Sachsen aber natürlich auch die Verteidigung keine Gelegenheit auslassen, diese Sprengsätze verharmlosend als „Böller“ (wahlweise „Polen-“ oder „Tschechen-“) zu bezeichnen, hatten Zeugen immer wieder die Wirkung mit der von „Handgranaten“ verglichen. Der Generalbundesanwalt hat im Verfahren immerhin den Anschlag auf die Bewohner der Wohnung Wilsdruffer Straße als versuchten Mord angeklagt.

Der Kriminaltechniker des Bundeskriminalamts Forster wurde daher damit beauftragt, die Anschläge in der Bahnhofstraße und der Wilsdruffer Straße räumlich nachzustellen und mit den vermutlich dort verwandten Sprengsätzen sogenannte „Vergleichssprengungen“ durchzuführen. Diese Sprengungen wurden mit einer speziellen Kamera aufgezeichnet, die extreme Zeitlupe und damit die Berechnung der Geschwindigkeit von Explosionssplittern ermöglicht. Für den Anschlag Bahnhofstraße wurden auch mit Leder bespannte Gelee-Blöcke in den Splitterflug gestellt um zu versuchen, die möglichen Verletzungswirkung der fliegenden Splitter festzustellen.

Ein Rechtsmediziner wurde im übrigen damit beauftragt, auf der Basis der Ermittlungsakte und des kriminaltechnischen Gutachtens ein eigenes Gutachten über die möglichen Verletzungen, die durch die Explosionen bei den Bewohnern der Wohnungen hätten verursacht werden können, zu erstellen. Sachverständige Forster wurde heute vernommen, in der kommenden Woche werden beide Sachverständige vor Ort sein, da ihre Gutachten sich ja auf einander beziehen.

Bereits am Anfang der Erstattung des Gutachtens wurde allerdings deutlich, dass dieses teilweise unter falschen, die Gefährlichkeit des Anschlages Wilsdruffer Straße geringer als tatsächlich erscheinen lassenden, Voraussetzungen erstellt wurde. Der Sachverständige Forster hatte nämlich zentrale Aussagen der Angeklagten gegenüber der Polizei, insbesondere zur den eingesetzten Sprengmitteln, nicht mitgeteilt bekommen. Tatsächlich ist auch nach den Aussagen der Angeklagten Justin S. und Festing davon auszugehen, dass sowohl in der Bahnhofstraße, als auch in der Wilsdruffer Straße sogenannte Cobra 12-Pyrotechnik eingesetzt wurde. Für die „Vergleichssprengungen“ zum Anschlag Wilsdruffer Straße wurden trotzdem pyrotechnische Sprengsätze des Typs „Super Cobra 6 Topf“ verwendet, die etwa 20 % weniger Sprengmittel enthalten, als die nach den Geständnissen verwendeten Cobra 12 und im übrigen noch nie, weder in Aussagen der Angeklagten, noch von Zeugen oder in der internen Gruppenkommunikation, Erwähnung fanden.

Auch der Umstand, dass bei den „Vergleichssprengungen“ zum Anschlag Bahnhofstraße Gelee-Blöcke zur Feststellung von Splittereinschlägen aufgestellt wurden, nicht aber bei den „Vergleichssprengungen“ zum Anschlag Wilsdruffer Straße irritierte: Der Anschlag auf die Geflüchtetenunterkunft dort erfolgte, während sich mehrere Personen in der Küche aufhielten. Ein Nebenkläger befand sich nur Sekunden, bevor die Sprengsätze gezündet wurden direkt vor dem Fenster, in das durch die Explosion ein kinderkopfgroßes Loch gesprengt wurde, das nicht nur die Scheibe, sondern auch den Fensterrahmen und Teile der Wand in Splitter verwandelte. Eine Person lag in einem der Küche benachbarten Zimmer auf dem Bett. Es hätte nahegelegen in der Vergleichssprengung zu diesem Anschlag entsprechende Gelee-Blöcke aufzustellen.

Gleichwohl stellte sich bei der weiteren Befragung heraus, dass die kriminaltechnische Untersuchung zumindest für den Fall, dass das rechtsmedizinische Gutachten, das schriftlich bereits vorliegt, eine Lebensgefährdung für in den betroffenen Wohnungen befindliche Personen bestätigt, Verwendung finden kann: alle zu kritisierenden Abweichungen in der Gutachtenerstellung waren positiv für die Angeklagten, weil die Verwendung von weniger gefährlichen Sprengsätzen, als tatsächlich verwendet wurden, zu Grunde gelegt wurde.

Als Fazit des Verhandlungstages stellte die Nebenklage Wilsdruffer Straße abschließend fest, dass drei Aspekte des Gutachtens des kriminaltechnischen Sachverständigen hervorzuheben sind:

Trotz der erkennbaren Mängel des Gutachtens kann dieses zu Grunde gelegt werden, weil bei Verwendung eines „Cobra 12“- Sprengsatzes die Schäden größer, die Splittergeschwindigkeiten gravierender gewesen wären. Das Gutachten geht also von einer geringeren als der tatsächlichen Gefährlichkeit des Anschlages aus und kommt trotzdem zu lebensgefährlichen Auswirkungen.

Die Angaben der Angeklagten zu den Ablageorten der Sprengsätze sind eindeutig in Frage gestellt. Der Angeklagte Festing hat behauptet, den Anschlag in der Bahnhofstraße alleine durchgeführt zu haben. Den Sprengsatz habe er in den Spalt des gekippten Fensters gesteckt. Diese Schilderung widerspricht nach den Feststellungen des Sachverständigen den Schadensbildern vor Ort.

Die Angaben der Angeklagten zum Anschlag Wilsdruffer Straße, sie hätten die Sprengsätze, anders als geplant, auf das Fensterbrett gelegt, um die Gefährlichkeit der Explosion zu verringern, sind durch die Aussagen des Sachverständig erheblich in Zweifel gezogen. Dieser beschreibt das Schadensbild so, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Sprengsätze tatsächlich, wie geplant, mittels doppelseitigem Klebeband direkt auf die Fensterscheibe geklebt wurden. Die Angaben der Angeklagten scheinen also lediglich darauf gerichtet zu sein, eine geringere Strafe zu erzielen.

Auch wenn der Sachverständige angab, selbst von der immensen Wirkung dieser Pyrotechnik erstaunt gewesen zu sein, muss doch festgehalten werden, dass die Angeklagten ja nicht nur durch ihre Sprengversuche, sondern auch durch die bereits durchgeführten Anschläge gegen den PKW des Linkenpolitikers Richter, eine Briefkastenanlage sowie das Büro der Linken direkte Erfahrungen mit der Sprengwirkung gesammelt hatten. Die Angeklagten wussten damit genau, welch hochbrisanten Sprengsätze sie da direkt gegen Menschen einsetzten. Genau dies war ja auch der Grund dafür, dass der Angeklagte Festing vor den Anschlägen die Zündschnüre verlängerte – bei der Explosion wollten die Angeklagten sich in sicherer Entfernung befinden.

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