18./19.04.2017

Ermittlungsleiterin ohne Befugnis und Plan und: ein militantes Nazinetzwerk

An den beiden Verhandlungstagen in dieser Woche wurde ausschließlich die Staatsanwältin Kirchhof vernommen. Diese war im Rahmen des vorliegenden Strafverfahrens als Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft Dresden ab Herbst 2015 für alle entsprechenden Straftaten mit Tatort in Freital zuständig. Als die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft im November 2015 entschied, „diverse Verfahren“ zu übernehmen, wurde die Zeugin zur Generalstaatsanwaltschaft abgeordnet und setzte ihre Arbeit dort fort.

Einmal mehr wurde deutlich, warum die sächsische Justiz nicht in der Lage war, der Serie von schweren, gegen Geflüchtete und ihre UnterstützerInnen gerichtete Straftaten im Zeitraum ab 2015, angemessen zu begegnen. Eine unerfahrene Staatsanwältin wird zur Leiterin der Ermittlungen betreffend der Serie von Sprengstoffanschläge in Freital ernannt, von richtungsweisenden Entscheidungen im Verfahren aber ausgeschlossen. In der Praxis arbeitet sie alle Ermittlungsanregungen und -vorschläge ab, die ihr von den erfahrenen Polizeibeamten des OAZ (Operatives Abwehrzentrum Sachsen) präsentiert werden. Allerdings wird sie in die Überlegungen und Strategien, die diesen Vorschlägen zu Grunde liegen, nicht eingeweiht. Insoweit kann sie nichts anderes tun, als geduldig abzuwarten, bis die Polizei Ermittlungsergebnisse abliefert. An Besprechungen der Leitungsebene durfte sie nicht teilnehmen, statt dessen nahmen an diesen ihr Abteilungsleiter OStA Schär (StA DD) bzw. OStA Wiegner (GeStA) teil. Protokolle oder Vermerke dieser Besprechungen wurden nicht gefertigt bzw. zumindest ihr nicht zugeleitet. Die Zeugin war also eine leitende Ermittlerin, ohne tatsächliche Ermittlungskompetenz. Anstatt Herrin des Ermittlungsverfahrens zu sein, war sie eine einfache Befehlsempfängerin des OAZ und ihrer Behördenleitung. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die entscheidenden Teile der von der Zeugin gefertigten Anklageschrift, nicht von ihr geschrieben wurde, sondern von ihrem Vorgesetzten. Die Entscheidung, nicht wegen eines Tötungsdelikts Anklage zu erheben, sondern die Angelegenheit als versuchte gefährliche Körperverletzung zum Jugendschöffengericht am Amtsgericht Dresden anzuklagen, wurde nicht von ihr getroffen. In der Hauptverhandlung erklärte die Zeugin, weil sie krank gewesen wäre, habe sie diesen entscheidenden Teil der Anklage nicht selbst geschrieben.

Dieses Vorgehen, einen schwachen Staatsanwalt mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen, diesem aber die wichtigsten Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse vorzuenthalten, hat bei der sächsischen Justiz scheinbar System.Einerseits können so alle sich aus den Ermittlungen ergebenden Probleme auf den Sachbearbeiter abgewälzt werden. Andererseits behalten sich die Vorgesetzten und Behördenleiter aber vor, die zentralen Entscheidungen zu treffen. Das ist regelmäßig ein Zeichen dafür, dass das staatsanwaltschaftliche Handeln politischen Überlegungen unterworfen wird und die Strafverfolgung damit der Staatsräson hintan gestellt wird.

Die Zeugin war für zwei Tage geladen, weil sie eine etwa 90-Seitige Zeugenvernehmung mit dem Angeklagten Schulz durchgeführt hatte. Bei der Schilderung ihrer Tätigkeit hatte sie zunächst einige Schwierigkeiten. Die Schilderung der Vernehmung Schulz gelang ihr allerdings recht überzeugend, insbesondere weil ihr große Teile der Aussage des Angeklagten als Erinnerungsstütze vorgelesen wurden und sie immer wieder an diesen Vorhalten anknüpfen konnte.

Unter anderem hatte der Angeklagte Schulz anschaulich dargestellt, dass beispielsweise vor dem Anschlag in der Wilsdruffer Straße eine Diskussion innerhalb der Gruppe der Angeklagten über die enorme Gefährlichkeit der Sprengsätze geführt wurde. Die Gruppe hatte den Anschlagsort ausgespäht, es wurde geschildert, dass die Bewohner der Wohnung oft am Küchentisch und damit nah am Fenster sitzen würden. Schulz habe eingeworfen, die Verwendung der Sprengkörper sei doch sehr gefährlich und könnte die Hausbewohner verletzen. Hierauf habe der Angeklagte Festing geantwortet, genau darum würde es ja gehen. Die übrigen Mittäter hätten nichts weiter gesagt und sich später an der Durchführung der Tat beteiligt.

Im übrigen zeichnet die Vernehmung des Angeklagten Schulz ein Bild eines Menschen, der sich sehr stark seiner Gruppe, der Gruppe Freital, zugehörig fühlt. Über diese Gruppenzugehörigkeit entstand eine Beziehung zu weiteren Gruppen, beispielsweise den „Dresdnern“, mit denen man den Angriff auf das Wohnprojekt Mangelwirtschaft gemeinsam durchführte, aber auch zu Gruppen aus Halle, Dortmund oder Leipzig, die man bei gemeinsamen Aktionen, wie beispielsweise in Heidenau kennenlernte. Schulz schilderte das überregionale Netzwerk militanter nazistischer Gruppen, in das die Freitaler Gruppe offensichtlich fest eingebunden war, als einen Zusammenschluss von Menschen, die ihre Identität in großem Maße aus der Gruppenmitgliedschaft ziehen. Um so absurder, dass die Staatsanwaltschaft es zuließ, dass sogar während der Untersuchungshaft Kontakte zwischen hier Angeklagten und anderen wegen § 129/a StGB Beschuldigten Häftlingen möglich waren.